Geschichte der Gustav-Adolf-Kirche

Dekan Daniel Schöffel, der als Vikar in den Jahren 1932 bis 1935 in Neuramersdorf wirkte und so die Entstehung der Gustav-Adolf-Gemeinde miterlebte, bezeichnete 1983 in seinen Erinnerungen den Bau der Gustav-Adolf-Kirche als Wunder. Falls es erlaubt ist, von einem Wunder dann zu sprechen, wenn alle Mühe und Anstrengung nicht zum erhofften Ergebnis führt, das erstrebte Ziel aber auf ganz unerwartete Weise doch erreicht wird, so mag man tatsächlich von einem Wunder sprechen.

Durch die verstärkte Siedlungstätigkeit im Gebiet des heutigen Stadtteils Ramersdorf Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre war auch der evangelische Bevölkerungsanteil so stark angewachsen, daß sich Bestrebungen regten, eine evangelische Kirche zu schaffen, weil die kirchliche Versorgung durch St. Paulus in Perlach als nicht mehr ausreichend angesehen wurde.

Mit Bibelstunden in der Führichschule begann diese Entwicklung, es folgte dann ein Betsaal im damaligen "Haus Elisabeth" in der Rosenheimer Straße (heute Altersheim St. Maria Ramersdorf) und schließlich wurde bereits 1931 der Evangelische Verein Neuramersdorf gegründet, nicht nur zum Zwecke der Förderung des evangelischen Gemeindelebens und der Einrichtung evangelischer Schulklassen, sondern vor allem mit dem Ziel der Errichtung einer selbständigen Pfarrei oder eines Vikariats und eines Baufonds zur Errichtung einer Kirche.

Gedacht war an die Schaffung einer Notkirche, wozu es aber schon deshalb nicht kam, weil ein geeignetes Grundstück fehlte.

Parallel hierzu liefen Bestrebungen zur Errichtung einer Tochterkirchengemeinde mit einem Stadtvikariat.

Ende 1933/Anfang 1934 nahmen die Dinge eine unerwartete Wendung, als sich die Stadt München entschloß, in Ramersdorf eine Mustersiedlung zu errichten. Der Initiator, Planer und Erbauer dieser Siedlung, berufsmäßiger Stadtrat Guido Harbers, Wohnungs- und Siedlungsreferent der Stadt München, verfolgte von Anfang an den Plan, an einer städtebaulich bedeutsamen Stelle dieser Siedlung eine evangelische Kirche zu schaffen. Ebenso wie er maßgeblichen Einfluß auf Planung und Errichtung der Siedlung hatte, schuf er dann als Baumeister auch die evangelische Kirche, die sich nach seiner Vorstellung vollkommen in das Siedlungsbild einpassen und zugleich der krönende Abschluß dieser Siedlung sein sollte.

Aufgrund günstiger Finanzierungsregelungen, die ebenfalls Stadtrat Harbers zu danken sind, gelang es, den Kirchenbau 1935, das Gemeindehaus mit Pfarrhaus 1936 zu vollenden.

Die Kirche erlitt im Kriege nur erträgliche Schäden, am 31. Juli 1944 wurde jedoch das Gemeindehaus total zerstört.

Mit viel Eigeninitiative gelang es der Gemeinde nach dem Krieg, die Kirche wieder nutzbar zu machen. Nachdem 1949 die selbstständige Evang.-Luth. Pfarrei München - Gustav-Adolf-Kirche errichtet worden war, konnte 1951 das Gemeinde- und Pfarrhaus nach den alten Plänen wieder aufgebaut werden. Durch Umbau und Erweiterung des Gemeinde- und Pfarrhauses erhielt das Gemeindezentrum der Gustav-Adolf-Gemeinde 1963/64 seine jetzige Gestalt. Mit dieser letzten größeren Baumaßnahme konnte die bereits seit den dreißiger Jahren bestehende Gemeindekonzeption für das Gemeindezentrum zu einem Abschluß gebracht werden.

Die Gemeinde denkt fünfzig Jahre nach der Einweihung am Sonntag, dem 1. September 1935, dankbar daran, daß in einer Zeit der Prüfung und des Leidens evangelischer Christen, daß im Kirchenkampf diese Kirche entstehen konnte, von denen, welche sich in Ramersdorf eine evangelische Kirche wünschten, wie ein Geschenk empfangen.

Nachfolgend soll nun geschildert werden, wie es zum Bau der Gustav-Adolf-Kirche und des Gemeinde- und Pfarrhauses kommen konnte, wie der Bau durchgeführt wurde und welches Schicksal dem Gmeindezentrum in seiner kurzen Geschichte beschieden war.

Der Betsaal

Vom Evangelischen ist in Ramersdorf erst seit 1898 die Rede. Obwohl Ramersdorf bereits 1864 nach München eingemeindet worden war, gehörten die dortigen Protestanten zu der um 1830 gegründeten Gemeinde St. Paulus in Perlach.

Im September 1918, kurz vor Ende des ersten Weltkrieges, bekam Ramersdorf die schon lang ersehnte Schule an der Führichstraße. Die Notzeit nach dem verlorenen Krieg führte allerdings dazu, daß die Schülerzahl ständig zurückging. Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit ließen für Ramersdorf keine zukunftsträchtige Entwicklung erwarten. Ende der zwanziger Jahre regte sich dann doch wieder neues Leben: 1929 war zu den bereits vorhandenen Wohnbauten südlich der Wollanistraße der auf der anderen Seite der Rosenheimer Straße liegende Maffeiblock hinzukommen. In den Jahren 1928 bis 1930 wurde zwischen der Wollani- und der Anzinger Straße einerseits und zwischen der Bad-Schachner- und der Grafinger Straße andererseits von der Gemeinnützigen Wohnungsführsorge AG (Gewofag) die Siedlung Neu-Ramersdorf erbaut.

Dadurch war auch die Zahl der Protestanten ganz wesentlich angestiegen. Pfarrer Bomhard von St. Paulus begann deshalb 1930, in der Führichschule Bibelstunden abzuhalten.

Er war es auch, der am 22.6.1931 an den Kreisdekan schrieb, die Ramerdorfer Glaubensgenossen hätten ihn gebeten, in der dortigen Schule Gottesdienste einzuführen. Vom Dekanat wurde diese Absicht wärmstens beführwortet und ein entsprechendes Gesuch an die Stadt München gerichtet. Die Benutzung der Schule solle nur ein Provisoriumsein, bis in Neu-Ramersdorf eine Notkirche errichtet werden könne.

Bald wurde erkennbar, daß sich die Schulleitung nicht in der Lage sah, diesem Wunsch zu entsprechen. Georg Scheuerpflug, der später erster Vorsitzender des Evang. Vereins Neu-Ramersdorf werden sollte, kam deshalb auf die Idee, im "Haus Elisabeth" in der Rosenheimer Str. 126, das dem Verein "Heim für alleinstehende Frauen und Mädchen e. V." gehörte, um die Überlassung eines Raums nachzusuchen. Am 6.7.1931 konnte Scheuerpflug freudig an das Dekanat berichten, daß das Lesezimmer gegen ein Entgelt von RM 10,– pro Gottesdienst zur Verfügung gestellt werde. Dekan D. Langenfass hat am 19.7.1931 den ersten Gottesdienst "bei gänzlich überfülltem Raum" gehalten, wie Scheuerpflug später befriedigt feststellte.

Der Kreisdekan erteilte eine "vorläufige Genehmigung" zur Abhaltung von 14tägigen Gottesdiensten. Sie sollten durch "die freiwillige Hilfe der hiesigen Geistlichen" durchgeführt werden, welche Hoffnung sich auch tatsächlich erfüllte.

Da die Benutzung des Lesesaales eine starke Beeinträchtigung des Heimlebens zur Folge hatte, wurden die Gottesdienste in einen beheizbaren Kellerraum verlegt, der größer war als der Lesesaal und über 100 Personen fassen konnte. Nach Durchführung umfangreicher Schreinerarbeiten konnte der Betsaal am Kirchweihsonntag, 18.10.1931, seiner Bestimmung übergeben werden. Pfarrer Bomhard hielt den Eröffnungsgottesdienst. Er verlegte nun auch die Bibelstunden in den Betsaal. Dekan Schöffel meinte sich zu erinnern, daß der kleine Altar in seinen barocken Formen aus einer Kapelle im Oberland gestammt habe, wo er nicht mehr benötigt worden sei. Georg Scheuerpflug schuf durch Abtrennung eines Raumteils eine Sakristei, die gegen den Betsaal durch einen grünen Plüschvorhang abgeschlossen wurde. Er war es auch, der in den Gottesdiensten das Harmonium spielte.

Der Evangelische Verein Neuramersdorf

Am 14. Dezember 1931 fand im Gasthaus "Zum Wilden Mann" am Stresemannplatz die Gründungsversammlung für den Verein statt. Als Vorsitzender des Gründungsausschusses fungierte Georg Scheuerpflug.

Amtsgerichtsrat Dr. Erich Bezzel stellte den von ihm entworfenen Satzungsentwurf vor. Kritisiert wurde am Entwurf nur, daß die Schaffung eines Vikariats als eines der Vereinsziele vorgesehen war und nicht gleich die Schaffung einer Pfarrei. Man einigte sich auf die Formulierung "Errichtung einer Pfarrei bzw. eines Vikariats".

Zu weiteren Vereinszielen wurden die Förderung des evangelischen Gemeindelebens, die Schaffung evangelischer Schulklassen in Ramersdorf, die Abhaltung regelmäßiger Gottesdienste (bisher nur 14-tägig) und die Ansammlung eines Baufonds zur Erbauung einer Kirche erklärt.

Mit großer Mehrheit wurden sodann von den 66 Versammlungsteilnehmern Georg Scheuerpflug zum ersten Vorsitzenden und Dr. Bezzel zu seinem Stellvertreter gewählt. Zum Kassier wurde Herr Landrock, zum Schriftführer Herr Schipferling bestimmt, Beisitzer wurde Herr Wörrlein.

Schon in der Gründungsversammlung wurde unter großem Beifall der Vorschlag gemacht, einen Kirchenchor zu gründen.

In der Vorstandssitzung am 16. Januar 1932 berichtete der Vorsitzende, daß er zur Beschaffung von Abendmahlsgeräten unter den Mitgliedern eine Sammlung veranstaltet habe, wozu ihm nachträglich die Genehmigung erteilt wurde. Beschlossen wurde weiterhin, daß die Einlagen im Opferstock zunächst zur weiteren Ausschmückung des Betsaales dienen sollten.

Aus dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 17. Februar 1932 erfahren wir, daß Pfarrer Bomhard von St. Paulus in Perlach als Ehrenvorsitzender des Vereins begrüßt wurde.

Der Ehrenvorsitzende zeigte sich zuversichtlich, daß Ramersdorf schon am 1. Mai 1932 einen "ständigen Vikar" bekomme.

Zur Schulfrage mußte festgestellt werden, daß die Anzahl evangelischer Schüler zur Bildung evangelischer Schulklassen in der Führichschule nicht ausreiche. Es wurde die Schaffung einer Evangelischen Elternvereinigung beschlossen.

In dieser Sitzung erkärte sich auch Pfarrer Bomhard bereit, einen Vortrag über Gustav-Adolf (300-jähriger Todestag am 6. November 1932) zu halten. Am 7. Mai 1932 fand dann im Gasthof "Kleiner Löwengarten" in der Anzinger Straße 2 ein Familienabend mit einem Lichtbildervortrag über Gustav-Adolf statt, bei welcher Gelgenheit auch Vikar Schöffel vorgestellt werden sollte.

Dazu kam es allerdings nicht mehr. Der Predigtamtskandidat Daniel Schöffel, der tatsächlich mit Wirkung vom 1. Mai 1932 dem Pfarramt Perlach als Privatvikar beigegeben war und vorwiegend zur Pastorisierung von Neu-Ramersdorf tätig werden sollte, wie das Evangelische Gemeindeblatt berichtete, hatte nämlich am Tage Christi Himmelfahrt, am 5. Mai 1932, überraschend im Betsaal Gottesdienst gehalten und war somit für die Gemeinde kein Unbekannter mehr.

Eines der wichtigsten Ziele des Evangelischen Vereins Neuramersdorf war jetzt erreicht.

In der Frage der Errichtung einer Tochterkirchengemeinde einigte man sich in der Vorstandssitzung vom 30. September 1932 darauf, diese Angelegenheit aus finanziellen Gründen für ein Jahr zurückzustellen. Doch erst die ausserordentliche Mitgliederversammlung am 7. Juli 1935 beschloß angesichts der schon nahe bevorstehenden Einweihung der neuen Kirche die errichtung der "Evang. Luth. Tochterkirchenstiftung der Gustav-Adolf-Kirche in München-Ramersdorf".

Am 23. Dezember 1935 beschloß die Mitgliederversammlung, den bisherigen Namen "Evangelischer Verein Neuramersdorf" abzuändern in "Evangelischer Gemeindeverein München-Ramerdorf e.V.", der Ende der 50iger Jahre zum Diakonieverein wurde.

Hoffnung auf einen Kirchenbau

In seinem Schreiben vom 17.6.1931 an die Stadt München bezeichnete das Dekanat die Errichtung einer evangelischen Notkirche in Neu-Ramerdorf als dringende Notwendigkeit. Das Dekanat bedankte sich für die grundsätzliche Bereitschaft des Stadtrates, einen Kirchenbauplatz Ecke Altöttinger- und Grafinger Straße käuflich zur Verfügung zu stellen. Es hält diesen Standort jedoch für ungünstig.

Der Gemeinde Berg am Laim waren die Aktivitäten der werdenden Gemeinde Ramerdorf im Ledigenheim an der Rosenheimer Straße nicht verborgen geblieben. Der dortige Kirchenvorstand fürchtete um die Entwicklung seiner eigenen Gemeinde, wenn "inmitten des Hochbaugebiets", wie er sich ausdrückte und womit gerade das Gebiet um die Grafinger Straße gemeint war, ein kirchlicher Mittelpunkt für Neuramersdorf geschaffen würde. Wenn schon eine Kirche für die Neuramersdorfer Glaubensgenossen gebaut werden sollte, dann möglichst weit südwestlich, auf alle Fälle aber südwestlich der Rosenheimer Straße. Dieser Wunsch sollte sich später als Prophetisch erweisen.

Mit Dienstantritt des Vikars Schöffel belebte sich das Gemeindeleben in Ramerdorf merklich, aber realistische Aussichten auf einen Kirchenbau stellten sich nicht ein.

Von diesem Zeitpunkt gab es mit Einwilligung der kirchlichen Oberbehörde an drei Sonntagen im Monat Gottesdienst, Vikar Schöffel hielt freiwillig sogar jeden Sonntag Kindergottesdienst.

Mit Schreiben vom 1.2.1933 an den Kreisdekan bat er um die Erlaubnis, auch am letzten Sonntag des Monats Gottesdienst halten zu dürfen. Das wurde aber abgelehnt, weil die jetzige Vikarstelle nur eine provisorische sei und die kirchliche Arbeit erst dann verstärkt werden könne, wenn ein Stadtvikariat geschaffon worden sei. Dies geschah im Hinblick auf die bevorstehende Einweihung der neuen Kirche übrigens erst am 21.6.1935.

Zum Thema Kirchenbau stellte der damalige zweite Vorsitzende Fritz Ulsenheimer in der Mitgliederversammlung vom 15.3.1933 fest, mit einer so geringen Mitgliederzahl (64 waren es bei etwa 1000 Evangelischen) könne man zu keiner Kirche kommen. Das Vereinsvermögen belief sich damals auf 145 Reichsmark.

Dennoch wurden im Verein Überlegungen angestellt, wie man zu einem Bauplatz kommen könne. Von der Anpachtung eines Grundstücks kam man bald wieder ab. Georg Scheuerpflug machte schließlich den Vorschlag, wegen schenkweiser Überlassung eines Grundstückes an Oberbürgermeister Fiehler persönlich heranzutreten. Auch Vikar Schöffel stimmte diesem Vorschlag zu, doch bat er darum, "aus dienstlichen Gründen von der Beiziehung seiner Person Abstand zu nehmen".

Man faßte auch den Beschluß, zum Bau einer Kirche Bausteine zu verkaufen. Aus einem Gespräch mit Fiehler ist offenbar nichts geworden, aber auch die Bausteinaktion erbrachte nur 135 Reichsmark. Doch waren inzwischen tatsächlich Entwicklungen eingeleitet worden, die zum Bau der Gustav-Adolf-Kirche führen sollten.

Am 7.11.1933 schrieb Dekan D. Langenfaß an den Kreisdekan, daß die Bautätigkeit in Ramersdorf "wieder in lebhaftesten Gang kommt und vorraussichtlich auch eine evangelische Kirche im Laufe nächsten Jahres dort entstehen wird".

Am 20.9.1933 hatte Vikar Schöffel aus seinem Fenster bereits Bauarbeiten jenseits der Wilramstraße beobachtet. Auch hatte er etwas davon verlauten hören, daß dort eine Siedlung mit einer evangelischen Kirche errichtet werden solle. Es sollte die Mustersiedlung Ramersdorf werden.